Programm 2020/2021

Veröffentlicht von Thomas Stahlhut am

„Kultur markiere „die geistigen und sozialen Koordinaten einer Gemeinschaft“, so hat es die frühere Hamburger Kultursenatorin Christina Weiss einmal sehr klar zusammengefasst. Was also passiert nun, wenn diese Koordinaten sich langsam aufzulösen scheinen? […] Der weitgehende Verlust des kulturellen Lebens mag nicht im Zentrum dieser Krise stehen – ein bloßes „First World Problem“ ist er trotzdem nicht. Kultur, man muss das Mantra wiederholen, ist nicht nur Unterhaltung, Freizeit und Ablenkung (wobei diese Funktionen – siehe Film und Buch – derzeit kaum zu unterschätzen sind). Kultur bedeutet auch die beständige Auseinandersetzung mit Werten, Ideen, Idealen, Widerständen, Visionen und Verfehlungen, bedeutet die permanente geistige und emotionale Erneuerung.“
Maike Schiller, „Ohne Kultur fehlen unserem Leben die Geschichten“, Hamburger Abendblatt vom 17.4.2020, S.2 (Leitartikel).

Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“
Verfassung der Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) – Präambel, verabschiedet in London am 16. November 1945, zuletzt geändert von der 30. UNESCO-Generalkonferenz am 1. November 2001.

Bildung und Wissenschaft finden in gesellschaftlicher Kontroverse statt. Laut dem Friedensforschungsinstitut SIPRI wurden 2019 weltweit fast zwei Billionen Dollar in Rüstungshaushalten versenkt. Der bundesdeutsche Rüstungsetat wurde jüngst noch einmal von 43,2 auf 45,2 Mrd. Euro erhöht. Diese Fehlleitung öffentlicher Gelder bedient die Interessen der größten (Re-)Aktionäre und geht einher mit sozialer, kultureller und demokratischer Verrohung. Dagegen wirksam sind wissenschaftliche Aufklärung als Teil von gesellschaftlicher Bewegung für Frieden (www.ziviler-hafen.de), internationale Solidarität, soziale Progression und kulturelle Entfaltung. In dem Maße, wie wir Bildung und Wissenschaft zu diesen Zwecken vorantreiben gelingt auch die positive Entwicklung von Gesellschaft, Persönlichkeiten und (Alltags-)Kultur. Dies gemeinsam und überall zu unternehmen ist eine freudvolle Angelegenheit.

Insofern ist besonders erfreulich, dass der Fakultätsrat unserem Antrag mehrheitlich zugestimmt hat, zur jährlichen Marathonlesung aus den von den Nazis verbrannten Büchern aufzurufen (krit-geiwi.org/marathonlesung20) und nun öffentlich dafür eintritt, künftig den 8. Mai als Tag der Befreiung zu einem bundesweiten Feiertag zu machen (krit-geiwi.org/8-mai). Darüber hinaus arbeiten wir daran,

– die Beteiligung der Fakultät z.B. am „Monat des Gedenkens in Hamburg-Eimsbüttel“ auszuweiten,

– die Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte und der Forschungsstelle „Hamburgs (post-) koloniales Erbe“ finanziell, strukturell und personell zu stärken,

– die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte wiederzubeleben sowie sozialkritische Kulturwissenschaften zu stärken,

– historische und soziale Landeskunde in den Sprachwissenschaften für internationale Solidarität auszubauen.

Angesichts der Folgen aus den Eindämmungsmaßnamen gegen „Corona“ hat der Fakultätsrat auf unsere Initiative beschlossen, das „verlorene“ Sommersemester solidarisch zu gestalten, indem sich in Studium und Forschung verstärkt mit der gegenwärtigen Krise und ihren Folgen beschäftigt werden soll. Außerdem will er sich dafür einzusetzen, dass unter anderem gegenüber Ausländerbehörde, Bafög-Amt und Krankenkassen die Bezugs- und Studiendauer um ein Semester verlängert werden soll und die Universität so schnell wie möglich wieder für den Präsenzbetrieb geöffnet werden möge (krit-geiwi.org/solidarsemester). Darüber hinaus hat sich der Fakultätsrat den folgenden Forderungen angeschlossen, für deren Umsetzung nun zu streiten ist:

– Innerhalb der Hochschulen sind für Tutorien und studentische Beschäftigte aller Art die eingeplanten Entgelte zu zahlen, auch wenn die Tätigkeit unter den aktuellen Bedingungen nicht ausgeübt werden kann.

– Das Studierendenwerk wird aufgefordert, die Mieten für das Sommersemester auf Antrag der Studierenden auszusetzen. Die SAGA wird aufgefordert, dies ihren studentischen Mieter*innen auch zu ermöglichen.

– Die Hochschulen sind angehalten, auf alle nicht unbedingt erforderlichen Prüfungen zu verzichten. Daraus darf den Studierenden für den weiteren Studienverlauf kein Nachteil entstehen.

Diese und weitere notwendige soziale Verbesserungen erfordern einen Bruch mit der „Schuldenbremse“ (Austeritätspolitik). In diesem Konflikt fordert der Fakultätsrat auf unseren Antrag vom Hamburger Senat, die Grundzuweisung an die Uni entsprechend der realen Kostensteigerungen aufwachsen zu lassen (krit-geiwi.org/planungssicherheit). Wir beteiligen uns darüber hinaus an der Kampagne „International Solidarisch – Schluss mit Austerität“ (www.schuldenbremse-streichen.de), in deren Zusammenhang jüngst über 13.000 Unterschriften der Bürgerschaft übergeben wurden, um das Verbot der staatlichen Kreditaufnahme wieder aus der Hamburger Verfassung zu streichen. Wir laden herzlich dazu ein daran mitzuwirken, mittwochabends im wöchentlichen Wechsel von Kampagnentreffen und dem „Filmseminar gegen Austerität“ und bald auch wieder bei der Sammlung von Unterschriften für die nächste Stufe der Volksinitiative.

Solidarisches Lernen ist nur gegen das Bachelor/Master System mit seiner Konkurrenz- und Verwertungsorientierung durchzusetzen. Nach erkämpften Verbesserungen wie der Abschaffung von Fristen und der Etablierung des Studium Generale sind zu erwirkende Eckpunkte einer entsprechenden Reform:

– der Ausbau des Projektstudiums und der studentischen Forschungsgruppen,

– die Ausweitung des Studium Generale auf die gesamte Uni,

– die Abschaffung von Zwangsexmatrikulation, Leistungspunkten und die Reduktion (benoteter) Prüfungen für Muße zum erkenntnisorientierten Lernen, für kooperative Erörterung über Erkenntnisfortschritt und Gestaltung der Lehre zwischen Lehrenden und Studierenden,

– ausreichend Masterplätze für alle Bachelorstudierenden,

– eine Ausweitung des BAföG-Anspruchs, insbesondere für internationale Studierende, sowie tarifvertraglich gesicherte Studi-Jobs.

Der „Phil-Turm“ als Hauptgebäude der Geisteswissenschaften ist architektonisch ein Teil der sozialen Öffnung der Hochschulen und Vorbote der kulturellen Expansion durch ‘68. Er war über Jahrzehnte ein kulturelles und politisches Zentrum auf dem Campus und soll es wieder werden (krit-geiwi.org/philosophenturm). Damit das gelingt, muss damit schon im Überseering begonnen werden. Das dortige Shell-Gebäude ist von diesen Maßstäben in jeder Hinsicht weit entfernt und muss von seinen Nutzerinnen und Nutzern dafür erobert werden. Deshalb streiten wir für:

– deutlich längere Öffnungszeiten der Mensa bzw. des Cafés als Ort der Verständigung,

– den Abriss der „Vereinzelungsanlage“ im Eingangsbereich zur kulturellen Öffnung,

– mehr frische Luft zum Atmen,

Auf dem Gesamtcampus wirken wir für:

– eine deutliche Erweiterung der universitär genutzten Flächen, auch damit wissenschaftliche Kongresse u.ä. nicht in Konkurrenz zum regulären Lehrbetrieb stattfinden. Eine Vermietung der universitären Flächen zu gewerblichen Zwecken muss prinzipiell ausgeschlossen werden. (krit-geiwi.org/vergaberichtlinien)

– ein Höchstmaß demokratischer Gestaltung sowohl bei der Renovierung des Philturms als auch der bei der Erschließung des ehem. Fernmeldeamts in der Schlüterstraße.

Die Realisierung kritisch eingreifender Wissenschaft ist Angelegenheit aller und soll vor keiner Tür Halt machen.

„Es kommt darauf an das Hoffen zu lernen. […] Die Arbeit gegen die Lebensangst und die Umtriebe der Furcht ist die gegen ihre Urheber, ihre großenteils sehr aufzeigbaren, und sie sucht in der Welt selber, was der Welt hilft; es ist findbar. […] Die Hoffnung ersäuft die Angst.“
Ernst Bloch, „Prinzip Hoffnung“, geschrieben zwischen 1938 und 1947 im US-Exil.

Kategorien: FlugblätterProgramm