Programm 2019/2020

Veröffentlicht von Thomas Stahlhut am

Programmatischer Aufruf zur Wahl des Fakultätsrats

„Wir sind der Meinung, daß wir nicht nur nach oben hin etwas schaffen wollen, sondern daß das, was wir schaffen, zurückkommen soll zu denen, die das ganze Gebäude tragen. Die Wissenschaft muß wieder zurückkommen, um nach unten ihre Wirkung auszuüben.“
-Max Zelck (USPD), Debattenbeitrag zum Antrag zur Gründung der Universität Hamburg, Dritte Sitzung der Bürgerschaft, 28.3.1919.

„Kurz vor dem Ersten Weltkrieg klafften in Deutschland große Unterschiede. Die Jahrzehnte der Industrialisierung hatten Arbeitern zwar höhere Löhne beschert, Gutverdiener aber reich gemacht. 1913 entfielen auf die obersten zehn Prozent Haushalte gleich 40 Prozent aller Einkommen, so eine neue Studie. Die Pointe: Weil sich das Land nach Dekaden der Annäherung zuletzt deutlich gespalten hat, vereinnahmen die Bestverdiener inzwischen wieder einen genauso hohen Anteil vom Kuchen wie 1913.“
– Alexander Hagelüken, zum „Weltreport über Ungleichheit“, Süddeutsche Zeitung, 14.12.2017

Mit der demokratischen Gründung der Universität im Zuge der Revolution vor 100 Jahren war auch die Hoffnung verbunden, das gesellschafttliche „Unten“ zu stärken und eine friedliche Entwicklung der zuvor in den Weltkrieg getriebenen Völker zu ermöglichen. Die (inzwischen wieder) enorme soziale Ungleichheit ist damit unvereinbar. Heute kommt es zentral darauf an, diese Hoffnungen einzulösen und als Universität im „Geiste des Friedens und der Völkerverständigung“ (Leitbild der Uni) eine gesteigerte Wirkung für grundlegende soziale und kulturelle Verbesserungen zu entfalten. So ist zu verstehen und zu begrüßen, dass sich die Universität in Gegnerschaft zu Standort-, Konkurrenz- und Marktgeboten die „Sustainable Development Goals“ („SDG“) der UN zu eigen macht. Mit den SDG ist ein Programm zur „Transformation der Welt“ bis 2030 formuliert. Auf der Agenda stehen unter anderem die vollständige Uberwindung von Armut und Hunger, ein nachhaltiges Mensch- Natur-Austauschverhältnis, zivile Konfliktlösung aller Orten sowie eine Stärkung sozialstaatlicher Einrichtungen. Das erweiterte kritische und solidarische Engagement jedes Einzelnen bringt uns der Erreichung dieser ambitionierten Ziele näher. Dabei läßt sich stützen auf bereits vorhandene Aktivitäten, wie „Fridays for Future“, „Abrüsten statt Aufrüsten“ und die Kampagne „International solidarisch – Schluss mit Austerität!“ und neue Gleichgesinnte finden sich. Bei dem erfreulichen Engagement für die menschenwürdige Transformation der Welt ist niemand allein. Die Geisteswissenschaften sind dem zuträglich, wenn sie schöpfend aus dem reichhaltigen kulturellen, künstlerischen, literarischen, philosophischen und historischen Schatz der Menschheitsgeschichte Erkenntnisse dafür bilden, wie die große Mehrheit der Menschen ihre Bedeutung für die bewusste Gstaltung einer menschenwürdigen Welt realisieren kann. Die Einsicht, dass der Mensch als gesellschaftliches Wesen seine Geschichte selber macht, ist von enormer Sprengkraft.

„Der Gedanke geht der Tat voraus wie der Blitz dem Donner.“
– Heinrich Heine, zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 1834

In diesem Sinne wirken wir u. a. für:

Solidarität statt Austerität:
Die SDG zu verwirklichen erfordert vor allem den weltweiten Bruch mit der Austeritätspolitik, dem zentralen Hemmnis für die Realisierung eines menschenwürdigen Gemeinwesens. Das gilt nicht zuletzt auch für die Finanzierung der Hochschulen. Mit der Kampagne „International solidarisch – Schluss mit Austerität“ legen wir es u.a. mit einer Volksinitiative darauf an, die Schuldenbremse wieder aus der Verfassung zu streichen. Alle können mittun: Bei der Sammlung der Unterschriften sowie mittwochabends im wöchentlichen Wechsel von Kampagnentreffen und dem „Freiluftkino gegen Austerität“.

Aufklärende Wissenschaft:
Die Forschung gegen Kriegs- und für Friedensursachen, Völkerverständigung, die Aufarbeitung der Geschichte der Universität im Faschismus sowie des (ehemaligen) Kolonialinstituts, die Erforschung des Widerstands und seiner Quellen sowie die Fortführung des Aufbruchs um ’68 haben aktuelle Relevanz. Wir setzen uns daher ein für:
– die Beteiligung der Fakultät am „Monat des Gedenkens in Hamburg-Eimsbüttel“,
– den Ausbau der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte und der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“,
– eine entsprechende historisch kritische Ausrichtung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte,
– die Neugründung der Sozial- und Wirtscha9tsgeschichte sowie sozial kritische Kulturwissenschaften,
– den Ausbau historischer und sozialer Landeskunde in den Sprachwissenschaften für wirkliche Völkerverständigung.

Demokratische Studienreform für die Bildung mündiger Persönlichkeiten:
Universitätsweite und fakultätsspezifische „Dies Academici“ sind beispielgebend für gruppen- und fächerübergreifende Kooperation, kritischen Gesellschaftsbezug und wissenschaftlich fundiertes Lernen.
Wir treten ein für:
– Die Abschaffung von Regelstudienzeit, Zwangsexmatrikulation, Leistungspunkten, ABK, etc. für Muße zum erkenntnisorientierten Lernen,
– den Ausbau des Projektstudiums und der Studentischen Forschungsgruppen,
– kooperative Erörterung über Erkenntnisfortschritt und Gestaltung der Lehre zwischen Lehrenden und Studierenden statt Prüfungsmarathon
– ausreichend Masterplätze für alle Bachelorstudierenden
– eine Ausweitung des BAföG-Anspruchs sowie tarifvertraglich gesicherte Studi-Jobs.

Geschichtsbewusste und auf Erweiterung gerichtete bauliche Entwicklung
Der „Phil-Turm“ ist architektonisch ein Ausdruck ambitionierter Sozialstaatstätigkeit und Vorbote der sozialen und kulturellen Offnung durch ‘68. Er war über Jahrzehnte das kulturelle und politische Zentrum auf dem Campus und soll es wieder werden. Schon das davon in jeder Hinsicht weit entfernte Gebäude im Uberseering soll dieser kritisch-solidarischen Lebendigkeit entsprechen. Deshalb streiten wir für den Uberseering für:

– deutlich längere Offnungszeiten der Mensa bzw. des Cafés als Ort der Verständigung,
– den Abriss der „Vereinzelungsanlage“ im Eingangsbereich zur kulturellen Offnung,
– mehr Luft zum Atmen,
– eine deutliche Erweiterung der universitär genutzten Flächen, auch damit wissenschaftliche Kongresse und ähnliche Veranstaltungen nicht in Konkurrenz zum regulären Lehrbetrieb stattfindenden. Eine Vermietung der universitären Flächen zu gewerblichen Zwecken muss prinzipiell ausgeschlossen werden.

Demokratische Entwicklung
Die Realisierung kritisch eingreifender Wissenschaft ist Angelegenheit aller und soll vor keiner Tür Halt machen. Die Lösung zentraler gesellschaftlicher Probleme soll leitend sein auch für die Gremienarbeit. Die dafür hinderlichen Konkurrenzmechanismen (z.B. Leistungsorientierte Mittelvergabe, Exzellenzorientierung und Drittmittelabhängigkeit) sind so zu überwinden.

Daran können sich alle beteiligen:
eine entschieden positive Veränderung
des Alltags, ein neues ’68!

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