Gegen das Vergessen
„Sie haben ein Netz gesponnen. Und davor hatte die Gestapo am meisten Angst. Die hatten gar nicht so viel Angst vor Attentätern, die waren schnell gefangen und hingerichtet. Aber dieses Spinnennetz, das sie ausbreiteten, und der Aufstand der Gewissen – das war für die Gestapo eine besondere Gefahr“
Anneliese Tuchel, „Der braucht keine Blumen / In Erinnerung an Reinhold Meyer“, 1994.
Wir erinnern an unseren Kommilitonen Reinhold Meyer.
Er wurde vor 80 Jahren am 12. November 1944 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel von der Gestapo ermordet.
Sein Tod und der von zig Millionen anderen Menschen, die Krieg und Faschismus das Leben gekostet hat, sind eine mahnende Erinnerung an das „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“.
Das Leben von Reinhold Meyer unterscheidet sich von Millionen anderen durch seine Zugehörigkeit zum hamburger Zweig der Weißen Rose. Ihre Treffen fanden oft im Keller der Buchhandlung „Agentur des Rauhen Hauses“ am Jungfernstieg statt, die er seit 1942 gemeinsam mit seinem Vater führte.
Für diese Entwicklung war, neben der humanistischen und musisch geprägten Familie, insbesondere der Beginn seines Studiums in den Fächern Germanistik und Philosophie von großer Bedeutung. Nach seinem Abitur 1940 machte er eine Buchhandelslehre, die er 1942 abschloss, parallel dazu schrieb er sich an der Universität Hamburg für Germanistik ein und studierte u.a. bei dem Reformpädagogen Wilhelm Flitner, dessen Seminare ebenfalls zu Treffpunkten der Weißen Rose wurden. Auch ab etwa 1940 stellte er zusammen mit seinem Vater in den Geschäftsräumen der Buchhandlung Kunst aus, die von den Nazis als „entartet“ bezeichnet wurde. In diese Zeit fällt auch Reinholds Teilnahme am „Musenkabinett“, ein Lese- und Diskussionskreis, der von den Studenten Hermann Degkwitz (Kunst) und Willi Renner (Medizin) ins Leben gerufen wurde. Der Gesprächskreis setzte sich aus Intellektuellen, Schauspielern, Schriftstellern, Künstlern und Studenten zusammen, die sich insbesondere über moderne Malerei, Musik und Literatur austauschten. Der Kreis war eine öffentlich bekannte Gesprächsrunde, auch wenn auf manchen Treffen über verbotene Kunst, Musik oder Literatur debattiert wurde. Durch die Organisation von Veranstaltungen in Streits Hotel am Jungfernstieg gab man sich einen offiziellen Charakter. Für Reinhold Meyer zieht sich außerdem der Glauben an Gott als höheres humanistisches Prinzip wie ein roter Faden durch dieses dichte Netz aus Kunst, Kultur und den Menschen, die sich davon bewegen und anregen ließen, Widerstand gegen die kulturlose Inhumanität des Naziregimes zu leisten. Ihre Attentate auf das Regime waren Attentate des Geistes, auf den Ungeist des Krieges und der Gewalt.
Aus diesem Grund sollten Bücher und Menschen brennen, Menschen die im Angesicht des Schreckens nicht von ihren Überzeugungen abgewichen sind, sondern diese Überzeugungen, gestützt auf das literarische, künstlerische Erbes der Menschheit, im Widerstand ausgebaut haben. Bei genauer Betrachtung ist der Unterschied nicht mehr so groß. Das Erbe der Menschheit steht allen zur Verfügung. Humanistische Literatur, am besten in auskömmlich finanzierten Bibliotheken und aufklärerische Kunst in öffentlich finanzierten Museen machen dieses Erbe für alle erschließbar. Das Triptychon von Oskar Kokoschka, was lange im Hörsaal D des Philturm hing, handelt von dieser Bedeutung und sollte dort auch bald wieder ausgestellt werden. In diesem Sinne ist die Auseinandersetzung um die Grundlagen und den Inhalt der Kultur ein Kampf gegen Krieg und Faschismus. Wir sollten nicht warten, bis es dafür wieder Mut braucht.
„Ich kann nicht umhin, hinzuzufügen, daß Gretha Rothe und Reinhold Meyer besonders feine und selten gute Menschen waren. Wirklich, die Besten haben es nicht durchgehalten, sind nicht wiedergekommen. Nicht daß sie klüger, begabter als die anderen waren, aber wenn ich aufrichtig und ohne Sentimentalität an sie denke, so gut wie sie war keiner.“
Traute Lawrenz, zitiert nach Anneliese Tuchel, „Der braucht keine Blumen / In Erinnerung an Reinhold Meyer“, 1994.